Die Entwicklung von Aggression zu Kommunikation und die Konsequenzen daraus…

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Gestern hab ich seit längerem mal wieder ein spezielle Platte aufgelegt: Gila. Das Debütalbum von Gila. Oft auch mit Free Electric Sound untertitelt.

Dabei ist eins der Scharniere des Schutzdeckels meines Plattenspielers zerborsten. Komische Aktion dieser Kollaps. Aber nach was weiss ich wie vielen Jahren darf das auch mal passieren. Oder?

Ich hab gleich im Internet nach Ersatz recherchiert, bestellt und drei Tage später ausgetauscht.

Alles wieder gut sozusagen.

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Zurück zur Platte.

Das war ein Geburtstagsgeschenk von Bobby. Er hatte die Platte der Sammlung seiner Mutter entnommen. Sie kannte die Band. War auch schon bei einem Konzert dabei. Hat aber kein Interesse mehr an der Platte.

Und da Bobby weiss, das ich auf Krautrock stehe, hat er sie mir eben geschenkt. Was ein tolles Geschenk. Unfassbar! Noch dazu ist sie eine limitierte Nachpressung von 1997. Das Original von BASF wäre ein unglaublicher Schatz gewesen. Da musste mich aber auch erst der Strack draufbringen.

Jedenfalls ist die Musik wirklich lohnenswert. Sehr nach meinem Geschmack.

Sehr spacig. Space-Rock eben. Wobei das erste Lied sogar leicht funkig daherkommt. Wenn man grob, wirklich ganz grob, eine Schublade aufmachen möchte, dann passt die Scheibe gut ins floydsche Universum. Aber in die etwas schmutzigere Ecke. Positiv gemeint…

Exotische Klänge und Rhythmen vermischen sich mit fettem Orgelsound und Flanger-Gitarren. Die Band hat Spass. Ein Jam der Freude macht. Das hört man. Spürt man. Die Platte macht den Eindruck, als hätte die Band alles “live” im Studio eingespielt. Der Charakter passt.

Dazwischen hört man ein Baby. Geräusche. Atmosphären. Tolle Klang-Collagen. Alles verschmilzt und löst sich dann doch überraschend in Momente ohne Schlagzeug und nur mit Akustik-Gitarre gespielte Teile.

Dann eine ausufernde Perkussion-Orgie mit darüber gezischten Gitarren und treibendem Bass. Und dann ist plötzlich Schluss.

Schön sind auch die poetischen Texte, die eingesprochen wurden.

Über die Idee, und die zu vermittelnde Botschaft des Albums, stehen im inneren Teil des Doppelcovers einige Worte. Auch sind die Liednamen selbst Teil einer Botschaft und dementsprechend abgedruckt:


FREE ELECTRIC SOUND

Seite 1

AGGRESSION (Gila/C. Veidt) 4.33

verhindert

KOMMUNIKATION (Gila/C. Veidt) 12.47

und führt zum

Seite 2

KOLLAPS (Gila) 5.30

des Bewußtseins, was die Veränderung des „Ich” in positiver oder negativer Weise zur Folge hat. Das positiv veränderte „Ich“ sucht

KONTAKT (Gila) 4.30

zu anderen, um in

KOLLEKTIVITÄT (Gila) 6.40

seine natürliche

INDIVIDUALITÄT (Gila) 3.36

zu finden.


Ich zitiere jetzt einfach mal den Text, der in der Innenseite des Klappcovers abgedruckt ist: Irgendwie ist er trotz mancher Holprigkeit ganz schön:

Von Aggression zu Kommunikation. Von aggressiver Rockmusik zu ausgeglichener kommunikativer Musik.

Das ist in Kürze ausgedrückt die Entwicklung unserer Gruppe im Bereich des Zusammenlebens und im musikalischen Bereich.

Im Frühjahr 1969 lernten wir uns in einer Stuttgarter Politkommune kennen. Auf die anfängliche Sympathie füreinander folgte das Interesse sich näher kennenzulernen und der Entschluß jedes einzelnen miteinander zu arbeiten.

Keiner von uns hatte Lust, sich von irgendeiner Institution, sei es Druckerei, Büro, Theater oder Fotolabor, anstellen zu lassen, monatlich seinen Lohn zu kassieren, täglich 8 Stunden dafür zu arbeiten, zu kuschen, den Mund zu halten und ansonsten ein ziemlich isoliertes bürgerliches Leben zu führen. Wir wollten uns so frei wie möglich unter optimaler Ausnützung unserer kreativen Fähigkeiten verwirklichen, um uns selbst zu verändern und dadurch verändernd auf unsere Umwelt einzuwirken.

Wir haben uns lange über die Möglichkeiten unterhalten, unsere Erfahrungen anderen zu vermitteln und einigten uns auf mehrere Medien, die wir dafür einsetzen wollten. Musik – Film – Diashows – Sprache. Zunächst beschäftigten wir uns mit Musik, an der wir heute noch vorwiegend arbeiten. Das geschieht teils aus inhaltlichen, teils aus finanziellen Gründen.

Wir haben bisher eine natürliche Methode des musikalischen Zusammenspiels gefunden, die jedem von uns möglichst viel Freiheit läßt, sich auszudrücken.

Es ging uns darum, keine künstliche Ordnung zu haben. Künstliche Ordnung ist für uns ein Gesetz oder musikalisch ein Arrangieren bzw. ein Festlegen des musikalischen Zusammenspiels. Wir sind der Ansicht, daß wir durch die Fähigkeit, uns zu erinnern, Erfahrungen bewußt zu machen, spontan zu reagieren, uns selbst zu erkennen und unsere Phantasie einzusetzen, kein Arrangement brauchen, das unsere spontane Kreativität während des Spielen einschränkt.

Diese Platte ist unsere erste Produktion. Sie wurde von uns selbst produziert. Wir haben diesen Weg gewählt, um uns während der Arbeit im Studio keinerlei Einflüssen von rein kommerziell und industrieorientierten Produzenten aussetzen zu müssen, denn wir wollten unsere Musik verwirklichen und nichts anderes.

Wir möchten in diesem Zusammenhang besonders Herrn Dipl.-Ing. Rustige erwähnen, der uns durch die Vorfinanzierung der Produktion entscheidend geholfen hat. Diese Hilfe war echt freundschaftlich gemeint, denn Herr Rustige wollte an uns keinen
Pfennig verdienen.

Die LP nahm 8 Tage Studioarbeit in Anspruch; sie wurde im Studio Dierks in Stommeln bei Köln aufgenommen.

Die Zusammenarbeit mit Dieter Dierks hat uns viel Spaß gemacht. Er ist einer der wenigen Toningenieure, der die Sound-Vorstellungen einer Gruppe technisch verwirklichen kann. Dennoch ist er kein bloßer Techniker, der sich um nichts anderes kümmert. Er arbeitet intensiv an der Musik, wie jeder andere der Gruppe. Dieter war in dieser Zeit für uns der fünfte Musiker.

Das Endprodukt unserer Zusammenarbeit ist eine LP, die als kontinuierliche Geschichte aufzufassen ist.

Es ist die Geschichte unserer Gruppenentwicklung vom Frühjahr 1969 bis Sommer 1971.

Die Entwicklung von Aggression zu Kommunikation und die Konsequenzen daraus.

Conny

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Daniel Alluno – drums, bongos, tabla.
Fritz Scheyhing – Organ, mellotron, percussion, electronic effects.
Conny Veidt – e-guitar, acoustic-guitar, voice, tabla, electronic effects.
Walter Wiederkehr – bass.

Engineer: Dieter Dierks
Recorded from 7.6.71 until 15.6.71 in Tonstudio Dierks, Stommeln Cologne
Produced by Gila-Fee Electric Sound for Vibration
Executive Producer: Bernd Neumann, Conny Veidt
Coverdesign: Fritz Mikesch/Marlies Schaffer
Photo: Bernd Neumann
Published by Musik unserer Zeit


Das Album gibt es übrigens – wen wundert das nicht? – bei YouTube:

Meine Platte…

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Die Band ist auch auf den beiden großartigen Samplern: Deutsche Elektronische Musik vertreten: Teil 1 und Teil 2.

Beides tolle Einstiege in die Krautrockwelt. Oder zur Erweiterung derer.