Ich habe kürzlich zum ersten Mal das Lied „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ von Reinhard Mey und seinen Freunden bewusst angehört.
Die Botschaft ist mächtig, aber irgendwie nicht mehr ganz treffend … dachte ich. Es müsste mehr in die aktuelle Zeit passen, denn die Botschaft ist wichtig.
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
(frei nach Reinhard Mey)
Ich denk‘, ich sag’s euch gleich frei raus,
Bevor man eure Namen listenhaft notiert.
Man ruft schon wieder unter alten Fahnen,
Und eure Kinder sind’s, auf die man zielt.
Ich hab‘ zwar selbst kein Kind mit meinem Namen,
Doch sind wir alle zusammen verwandt.
Ich bitt‘ euch bei all eurer Liebe:
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
Ich seh’ sie spielen, träumen, lachen, fragen,
Noch unversehrt von kalter Pflicht.
Ich seh’, wie leicht man ihnen kann versagen,
Was uns als Mensch zu leben doch verpflichtet.
Ihr habt sie großgezogen mit Vertrauen,
Mit Herz und Hoffnung, Mut und Zuversicht –
Wollt ihr sie wirklich denen überlassen?
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
Nicht für Befehle, Flaggen oder Orden,
Nicht für die Spiele derer, die nichts riskier’n.
Die eure Kinder zählen in Kolonnen,
Doch ihre eignen vor dem Sturm kaschier’n.
Ihr wisst, das Leben währt nur kurze Jahre –
Die Jugend noch viel kürzer, zart und rein,
Warum lasst ihr dann andre drüber schalten?
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
Sie sollen leben, tanzen, küssen, streiten,
Verlieren, hoffen, lernen und verzeih’n.
Doch nicht in Reih’ und Glied zum Sterben schreiten,
Für irgendein System aus Stahl und Stein.
Ich fleh’ euch an, erkennt doch, was sie wollen:
Kein Morgen, keine Zukunft, kein Gedicht –
Nur Fleisch für ihre Kriege – nichts als Nummern.
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
Erzieht sie zu dem Mut, sich zu verweigern,
Zu widersprechen, wenn der Wahnsinn spricht.
Zu lieben, wo man Hass befiehlt mit Gewehren,
Und aufzustehen für das Lebenslicht.
Und lehrt sie jeden Tag das Wahre, Rechte,
Doch beugt euch diesem System niemals nicht!
Es ist nur kurz, das Leben dieser Kinder.
Nein, gebt denen eure Kinder nicht!
„Der Krieg, der kommen wird, ist nicht der erste. Es werden darin Frauen schreien, Kinder sterben, und die Mächtigen, die ihn entfesseln, werden sich wieder herausreden.“
Bertolt Brecht
Über die Freunde-Version von „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ – der Versuch einer dialektischen Betrachtung
Harsch, ehrlich, durchdacht und weiter gedacht, als wäre die Kritik von Bertolt Brecht (Wie kann ich es nur wagen?).
Da hatten sie es also getan, die Freunde des Herrn Mey. Sie hatten sich 2020 mit ihm zusammengerottet, wie man so sagt, um diesem einzelnen zarten Lied die Kraft des Kollektivs einzuhauchen. Und siehe da: Was als private Klage eines bürgerlichen Vaters begann, wird plötzlich zum – teilweise brachialen – Chor der Verweigerung. Ist das nun Fortschritt oder bloße Verstärkung der bestehenden Botschaft?
Diese neue Version kommt mit zwei Dutzend Stimmen, alle ohne Gage, alle für den guten Zweck – Friedensdorf International. Das ist bemerkenswert. Hier zeigt sich, was möglich wird, wenn Künstler die allgemein gültige Logik durchbrechen und ihre Arbeitskraft direkt dem gesellschaftlichen Nutzen widmen. Alles wird kollektiviert, wenn auch nur temporär.
Im Vergleich zum Original mit sehr viel mehr Instrumenten. Eben zeitgemäßer. 1986 hatten Protestlieder meistens diesen typischen Charakter wie in Meys Original. Das Lied entstand in einer Zeit, in der die Bourgeoisie ihre Friedensliebe entdeckte.
Die Szenerie der Neuauflage: Ein karger Wald bei Berlin, in dem kurz vor dem Schluss des Zweiten Weltkrieges eine weitere verzweifelte Schlacht tobte, und viele junge Menschen – von beiden Seiten – unnötig in den Tod geschickt wurden. Man hätte deren Geister, um das Ganze noch zu steigern, noch pathetischer zu machen, im Hintergrund vorbei laufen lassen können. Eine endlose Wanderung. Hand in Hand.
Und wer sind nun diese „Freunde“? Viele bekannte Namen aus der etablierten Musikindustrie (sie werden alle in der Video-Beschreibung aufgezählt), die hier ihre Marktposition nutzen, um einem pazifistischen Anliegen Gehör zu verschaffen. Das ist nicht zu verachten, aber es bleibt innerhalb der bestehenden Ordnung. Sie ändern nicht das System, sie nutzen es nur anders (Brecht war immer einer, der tiefer bohrte, der stichelte, der mehr forderte).
Die musikalische Gestaltung zeigt interessante Widersprüche: Wo Mey ursprünglich mit akustischer Gitarre und dezenter Begleitung durch einen Fretless Bass die Intimität des väterlichen Protests betonte, da dröhnt nun der kollektive Gesang. Die vierte Strophe, die im Original durch Trommelschlag den Marschrhythmus andeutet, wird hier zum vielstimmigen Aufschrei. Das ist Verfremdung im besten Sinne – das bekannte Lied wird durch die neue Form verfremdet und transportiert die Botschaft in ergreifend mächtiger Ehrlichkeit. Das ist Kunst.
Aber motiviert diese Ehrlichkeit? Dieser Aufschrei? Der bürgerliche Vater, der seine Söhne vor dem Krieg bewahren will, wird zum Sprecher einer ganzen Generation von Verweigerern. Das Private wird politisch, das Individuelle kollektiv. Doch – und hier stoßen wir auf das Problem – es bleibt bei der Verweigerung. „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ – das ist Defensive, nicht Offensive. Es ist der Rückzug ins Private, nicht der Angriff auf die Verhältnisse, die den Krieg hervorbringen.
Wie die derzeitige Friedensbewegung immer noch ihren Weg und Gehör sucht … und scheinbar feststeckt.
Das Lied appelliert an die Moral, statt zur Organisation aufzurufen. Das ist typisch kleinbürgerlich: Man kritisiert die Symptome, nicht die Ursachen.
Die Botschaft ist ehrenwert, aber es ist nicht genug. Denn während gesungen wird, rüsten die Rüstungskonzerne weiter auf, und täglich werden die Kriegsparolen häufiger und fressen sich fest in die allgemeine Wahrnehmung. Während auf der einen Seite die Söhne geschützt werden wollen, werden anderswo Söhne zu Soldaten. Die kollektive Verweigerung wird zur kollektiven Illusion, wenn sie nicht mit kollektivem Handeln gegen die Kriegsursachen verbunden wird.
Vielleicht fehlt dem Chor eine Luxemburg, ein Liebknecht oder ein Gramsci? Oder alle zusammen? Oder ein Brecht, oder andere … oder eben die Bewegung dahinter.
Und welche Söhne sind gemeint? Die des Arbeiters, der keine Wahl hat? Oder die des Bürgers, der sich den Luxus der Verweigerung leisten kann? Mey singt: „Eher mit ihnen in die Fremde ziehen, in Armut und wie Diebe in der Nacht.“ Welch romantische Vorstellung von Armut! Der wahrhaft Arme kann nicht fliehen – er hat weder Geld noch Ziel, noch den nötigen Pass.
Und dennoch: Wenn zwei Dutzend Künstler ihre Stimmen für den Frieden vereinen können, warum dann nicht viele Millionen Arbeiter ihre Hände für eine Welt ohne Krieg? Wo ist die Internationale, wenn man sie braucht?
Diese Version von Mey zusammen mit seinen Freunden ist tatsächlich kraftvoller und motivierender als das Original. Das Original kommt eher nett schunkelnd daher. Die mit den Freunden birgt Kraft und Motivation. Das sind Eigenschaften, die das Proletariat braucht. Aber wofür? Für die Verweigerung oder für die Veränderung? Das bleibt die entscheidende Frage.
So kann diese kollektive Fassung für diejenigen Trost spenden, die sich ohnmächtig fühlen angesichts der wachsenden Kriegsmaschinerie. Oder sie einfach nur einlullen. Oder sie kann Mut machen für die, die diese Maschinerie zum Stoppen bringen möchten.

Vielleicht kann jemand ein Lied aus meinem neuen Vorschlag basteln? Oder meinen Text verbessern…
Tonart: G-Dur
Takt: 4/4
Tempo: „Moderato“ (ca. 120 BPM)
Akkordfolge: G – D – Em – C
Melodie folgt dem natürlichen Sprachrhythmus.
Refrain: „Nein, gebt denen eure Kinder nicht!“ mit besonderer Betonung.